Stanislawski auf Russisch mit fachkundiger Dolmetscherin? Neugierig warteten die Kursteil-nehmer auf den Beginn des Lehrgangs mit Mikhail Chumachenko von der Universität für Darstellende Künste in Moskau.
Grundlage der Arbeit bildete der Einakter „Der Bär“ von Anton Tschechow. Um es gleich vorwegzunehmen: Der Kurs hätte mehr Interessenten ver-dient gehabt. Denn innerhalb kürzester Zeit befanden sich trotz Sprachbarriere alle mitten in intensivster Arbeit, setzten sich mit winzigen Details des Textes auseinander, erfuhren Unge-wöhnliches aus russischem Leben und Mentalität, staunten über Sichtweisen, die ihnen zuvor niemals in den Sinn gekommen wären, erforschten verschiedenste emotionale Varianten und verstanden sogar am dritten Tag ein paar Brocken Russisch. – Und Mikhail lernte fleißig Deutsch: „Jürgen? – Rauchpause!“
Zunächst führte der Referent in die Neuerungen des Dramas ab dem 19. Jahrhundert ein. Der Widerspruch zwischen „sagen – denken – handeln – fühlen“ beschäftigte die Teilnehmer ebenso wie die Aussage „Lebe im Theater wie im Leben“ im Konflikt mit geschichtlichen Veränderungen.
Die Basisanalyse beginnend bei der Einbeziehung von Politik, Nation, Zeitgeschehen, Gesell-schaft, Tradition… über die gesellschaftliche Lage, das Alter, Schicksal und Erfahrungen des Autors führt letztendlich zur Formung einer Rolle/eines Stückes.
„Alles sehen – alles hören – auf alles reagieren“ schrieb Mikhail den Teilnehmern ins Stammbuch und als wichtigste Prinzipien der Herangehensweise an ein Stück gab er ihnen mit:
– Lies das Stück ohne Hast
– Stelle möglichst viele „dumme“ Fragen
– Interpretiere nicht die Worte, sondern die Handlung und deren Wirkung („Aktive Analyse“)
Durch ein Arrangement nach bestimmten Kriterien lernten wir, unsere Aufmerksamkeit auf unterschiedlichste Gegebenheiten zu richten, erreichten durch Nutzung verschiedener Tempi die Aufmerksamkeit des Publikums auf einen bestimmten Spieler zu fokussieren, oder schul-ten unseren sechsten Sinn für den Partner mit diversen Übungen.
Mit diesen Eindrücken zum System Stanislawski sowie einem kurzen Blick auf dessen Wei-terentwicklung durch Michail Tschechow werden die Teilnehmer bestens gerüstet in ihre nächsten Produktionen einsteigen!
Ingeborg Peter