Workshops Tag 2

Im Workshop 1 (Raum – Körper – Flucht / Afrika) beginnt der Tag mit der (Weiter-)Entwicklung des Körperbewusstseins. Ganz in sich selbst ruhen, den eigenen Körper im Gefühl haben und zugleich mit allen Sinnen die Umgebung wahrnehmen. „Deine Augen müssen deinen Partner auf der Bühne nicht vor sich haben, dein Körper hat überall Augen,“ sagt Workshop-Leiter Christél Gbaguidi.

Er stellt zwei Teilnehmer vis-à-vis auf, sie sollen ihren eigenen Körper bewusst spüren, im Gleichgewicht sein, sich dafür Zeit nehmen, den Anderen vor sich wahrnehmen, sich konzentrieren.

Christel fügt die Aufgabe eines kleinen Konfliktdialogs bei zunächst beibehaltener neutraler Haltung hinzu, etwa „Du stinkst“ – „Nein, ich stinke nicht.“ – „Doch, du stinkst.“ – „Nein, ich stinke nicht, DU stinkst!“. Nun das Ganze noch einmal mit Emotion.

Dann lehnen die Spieler mit dem Rücken aneinander. Die eine Seite soll immer wieder eine Liebesklärung ausdrücken, die andere Seite diese zunehmend aggressiv zurückweisen. Dass es auf die Kommunikation der in Kontakt befindlichen Körper ankommt, während das verbal Geäußerte eigentlich nur als emotionale Leitschnur für die Spieler dient, muss erst gelernt werden.

Schließlich werden im Dreieck Haltungen und Reaktionen wie „Ich will nicht!“, „Ach so!?“, „Ja, doch!“ durchdekliniert, weitere Spieler suchen mit vorgelesenen theaterwissenschaftlichen oder landwirtschaftlichen Texten Aufmerksamkeit, es entstehen in dem Durcheinander Mehrdeutigkeiten, Konflikte und überraschende Wendungen. Zwischendurch werden die Lesenden „stummgeschaltet“, die Umsitzenden beginnen, als Klangunterlage einen tiefen Ton zu summen, wodurch sich das Spiel im Kreis verändert. Gesprochenes muss lauter werden, zugleich hat der Summton aber auch beruhigende Wirkungen. Die anfänglich angelegten Konflikte kehren jedoch nach verflachenden Wiederholungen schließlich in neuer Form zurück. Christél geht von Einem zum Anderen, flüstert neue Vorgaben ins Ohr.

Für ihn seien Konflikte die Hefe des Bühnengeschehens, Sprache interessiere ihn dabei weniger als vielmehr die Signale des Körpers. Wichtig sei deshalb genaue Beobachtung sowohl seiner selbst als auch der Anderen.

In kleinen Auswertungsrunden werden die Beobachtungen ausgetauscht, das Gesehene und Gespürte reflektiert.

Der Workshop 6 (Modernes Tanztheater / Nordamerika) war am Vormittag gerade dabei, individuelle Bewegungsvokabulare aufzubauen. Unter Anderem erzählte jede Workshop-Teilnehmerin, jeder Teilnehmer den Anderen, wofür sie bzw. er lebe, sterben würde, zu töten sich vorstellen könnte. (Betroffen wurde ich Zeuge, dass eine junge Frau auf Grund ihrer individuellen Lebensgeschichte von dieser Aufgabe emotional überfordert war. Es war beeindruckend, wie feinfühlig die Gruppe darauf reagierte.) Die Gegenübersitzenden hatten jedoch hauptsächlich die Aufgabe, die mehr oder minder unwillkürlichen Gesten und illustrierenden Bewegungsstereotype dabei bewusst zu registrieren und diese dann leicht karikiert der / dem Vortragenden wieder vor Augen zu führen. So sollte und konnte sich dann jede bzw. jeder aus diesen eigenen gestischen Mustern Elemente zusammenstellen, die in den Gegensätzen leicht – schwer, hart – weich, nah – weit, klein – groß, diffus – bestimmt, niedrig – mittel – hoch je nach Bedarf frei variiert in einen Ausdruckstanz eingebaut werden konnten.

Zu eingespielter Musik interagierte dann eine bestimmte Anzahl von Spielern mit ihren je eigenen Ausdrucksformen auf der Bühnenfläche, im Bestreben, auf die anderen einzugehen, diese einzubeziehen und zugleich durch Variation in Tempo, Höhe, Ausgriff usw. gegenüber den Mitspielern besonders auffällig und einprägsam zu sein. Es entstanden phänomenale, spaßige und auch berührende Momente und Konstellationen von zunächst noch großer Flüchtigkeit.

Im Workshop 3 (Das System von Stanislavsky / Europa) rang man derweil um die Faktenanalyse zum „Bären“ – das Der-Kreis-Modell hilft, diese zu strukturieren – von den äußeren Umständen über den Kontext und die Biografie des Autors bis hin zu den im Stück gegebenen Informationen über die Figuren.

Mikhail erklärte etwa die hierzulande wenig bekannten offiziellen Trauer-Gepflogenheiten der orthodoxen Kirche oder den Wert von tausend Rubeln in Chekhovs Zeit.

Die Analysen wurden immer wieder durch praktische Übungen untersetzt. Gerade als ich dazukam, wurde etwa geübt, an Hand gezogener Spielkarten, die entweder den Ziehenden selbst oder den Anderen nicht bekannt sind, Statusverhältnisse in situativer Improvisation zu klären und dynamisch auszuhandeln.

Zum Schluss wurde aufgelöst. Das funktionierte nicht immer exakt, zeigt aber zugleich, wie subtil die Statussignale zwischen einander Unbekannten wirken können. Natürlich überlagerten sich der durch die Karte vorgegebene, aber in der Relation zunächst unklare und dennoch bewusst und zugleich tastend zu spielende Status mit teils unbewussten statusrelevanten Signalen der Schauspielerpersönlichkeiten.

Besuche ich den Workshop 5 (Theater der Maori / Ozeanien), so ist mir jedes Mal, als würde ich die Welt, wie ich sie kenne, verlassen und in eine völlig andere eintauchen. Der Raum ist erfüllt von Zwitschern, Zetern, Krächzen, aufgeregtem Geschnatter, und die Wärme, die mir entgegenschlägt, ist von anderer Art als die drückende und schweißtreibende Schwüle der Luft in Rudolstadt an diesem Wochenende. Es ist eine besondere Aura des Willkommens, der spontanen Zuwendung, der Herzlichkeit, die von den Leitern, Rangimoana Taylor und Bronwyn Tweddle, ausgeht. Dies ist wohl derjenige unter den Workshops des Festivals, der sich kulturell am grundlegendsten vom europäisch geprägten Denken abhebt.

In die Workshop-Arbeit eingebaute Maori-Rituale erzeugen gewaltige Schwingungen, setzen Energie frei.

Rangimoanas Hinweise an die „Vögel“ sind kleine Weisheiten in sich: „Seid kühn, aber bleibt nett zueinander.“ Ein besonderer Charme des Spiels der Vögel liegt darin, viele soziale Verhaltensweisen exemplarisch und isoliert, trotzdem aber beliebig komplex gestalten zu können. Verschiedene Vogelarten wurden studiert, etwa der Albatros – ein eleganter Flieger, der aber nur schwer und tollpatschig starten und landen kann – oder ein Poketo – ein hässlicher und ziemlich dämlich wirkender, aber umso komischerer Vogel – , Laufvögel, Sing- oder Greifvögel, Kiwis.

Nun soll jeder einen Vogel für sich wählen und sich mit einem beliebigen zweiten zu einem Paar gruppieren, dann bei der Erkundung der Umgebung alles gemeinsam tun und zusammen bleiben. Das zwingt sie in ihrer Verschiedenartigkeit natürlich zu Kompromissen. Wer von beiden sollte führen? Wie macht sich der unzufriedene Partner bemerkbar, um lieber selbst zu führen? Wie lange geht das gut? Herzzerreißend anrührende Szenen entstehen so. „Ihr mögt euch albern vorkommen. Aber habt Spaß bei dem, was ihr tut, so erreicht ihr mehr.“ Durch die behutsame Führung öffnen sich zunehmend auch Teilnehmer, die anfangs die Hände nicht aus den Taschen bekommen hatten, sich nicht zum Affen bzw. Vogel machen wollten. Wenn jemand mal erschöpft sei, sollen die anderen dies bemerken und von ihrer Energie abgeben. „Wenn ihr damit hadert, nicht so gut gewesen zu sein, wie ihr wolltet, bedenkt: Nur der Mittelmäßige ist immer in seiner Bestform. Wagt etwas!“

Die Teilnehmer wagen dann ein Solo vor der Kamera. „Don’t be the last“, ist Rangimoanas Rat. Denn der Letzte habe es meist schwerer als der Erste. Er selbst gibt dann aber doch als Letzter einen sterbenden Vogel mit so großer Intensität und zugleich Komik, dass ich zwischen echter Sorge und Lachen hin- und hergerissen bin.

Mit einem Male wird mir klar, wie ähnlich Vögel uns Menschen tatsächlich sind. Oder wir ihnen. Und welche Einsichten genaue Beobachtung der Natur bringen kann, und welchen unglaublichen Spaß – tagelang! Und dass ein starker Zusammenhalt nicht aus der Einebnung der Individualität, sondern aus der freudigen Akzeptanz von Skurrilität, von Verschrobenheit, der eigenen wie der der Anderen, erwächst. Es fällt schwer, diese Maori-Welt wieder zu verlassen. Aber ich werde vielleicht ein Stück davon noch eine Weile in mir tragen können. Ich hoffe es.

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