Aufwärmen und los – Workshops Tag 1

Als „Theaterwelten“-Chronist bin ich der schweren Vorab-Entscheidung enthoben, welchen Workshop ich allen anderen vorziehen soll, und in der privilegierten Lage, von allen Workshops Eindrücke sammeln zu können und als einer der Wenigen eine Art Gesamtüberblick zu erlangen. Einerseits.
Andererseits ist es schwer, einen Querschnitt aus sechs Workshops zu geben, von denen man – von einem zum anderen wandernd – notwendigerweise weniger mitbekommt als verpasst. Zudem bleibt man dabei überall nur (vielleicht sogar störender) Zaungast statt Eingeweihter.

Insofern werden die hier wiedergegebenen Beobachtungen notgedrungen unvollständig und einseitig und sicher nur bedingt repräsentativ sein können, vielleicht gar Gefahr der Abwegigkeit laufen und ungewollt von Sichtweisen und Sehgewohnheiten geprägt sein, die zu überwinden dieser Workshop ja eigentlich gedacht ist.

Die Phase des Aufwärmens, des gegenseitigen Kennenlernens, des Loslassens des Alltags, des Kontaktaufbaus zum eigenen Inneren und zu den anderen Teilnehmern, übergehe ich hier. Allein, wohin auch immer ich kam, traf ich auf hoch motivierte, aufmerksame, konzentriert und mit Spaß an der Sache zusammenarbeitende Gruppen. Nun kenne ich Amateurtheaterarbeit und Workshops des darstellenden Spiels vor allem so, aber eine Selbstverständlichkeit ist das deswegen wohl noch lange nicht.

Als ich zum Südamerika-Workshop von Sandra Monteagudo und Jorgelina Balsa hinzukam, waren Übungen mit Bewegung zu Musik, freier Improvisation, dem Einbau von Vorgaben auf herumliegenden Textkarten in das Spiel vorausgegangen.

Nun entfaltete jeweils ein Paar von Workshop-Teilnehmern zum Rhythmus eingespielter Musik möglichst pantomimisch eine freie Improvisation. Nach kurzer Analyse, was die Zuschauer in der Szene gesehen hatten, sollte das Paar das Spiel wiederholen, aber mit einer kleinen Modifikation: Zum Beispiel sollte sich entwickelnder Unmut sich einer Tötung entladen. Der Ablauf sollte folgerichtig auf die thematische Vorgabe zulaufen. Eine ersichtlich fruchtbare Methode zu expressivem und konsistentem körperbewusstem Spiel.

Im Ozeanien-Workshop von Rangimoana Taylor und Bronwyn Tweddle hatten die Teilnehmer gerade das Verhalten von Vögeln nachzuempfinden gelernt, fühlten sich in einen individuellen Vogelcharakter ein und begannen, wie Vögel zu balzen oder Revierkämpfe und Paarungskonkurrenz auszufechten. Schließlich suchten Sie sich einen Vogelpartner zum gemeinsamen Nestbau, selbst Nistkonkurrenz, Raub von Nistmaterial und Kuckucksverhalten kamen verblüffend realistisch zum Ausdruck.

Rangimonea Taylor erzählte eindrücklich von der Herausforderung, sich in verschiedenen Kulturkreisen zu bewegen: Als Maori-Kind hatte man ihm beigebracht, dass er im Gespräch mit einem Erwachsenen den Blick zu senken hatte, um so seine ehrerbietige Aufmerksamkeit zu bezeugen. Ein Aufblicken wäre als respektloses Aufbegehren verstanden worden. Als er eine europäische Schule zu besuchen hatte, kam er mit dieser Höflichkeit gar nicht gut an. Die Lehrerin schickte ihn als unkonzentriert und respektlos zum Direktor, weil er sie nie anblickte, wenn sie mit ihm sprach. Solcherart gesandt, verlor er keine Zeit an der Tür und erboste den Direktor heftig, der ihn zum Anklopfen und Erwarten der Eintrittserlaubnis sowie zum Blickkontakt im Gespräch zwang. Mit dem neu erlernten Verhalten fiel er dann daheim bei seinem Maori-Großvater beinahe in schwere Ungnade, der ihm dann erklärte, er müsse lernen, dass in unterschiedlicher Gesellschaft eben verschiedenes Verhalten angebracht sei und die Herausforderung darin läge, die passenden Formen für den jeweiligen Kontext zu kennen und anzuwenden. Eine sehr wichtige und fällige Lehre gerade für uns Europäer, die wir allzu oft glauben, die ganze Welt habe sich nach unseren Vorstellungen und Codizes zu richten, ökonomisch wie politisch oder kulturell.

Dass man Neuankömmlinge oder öffentliche Reden bei den Maori mit einem Lied begrüßt, durfte ich an diesem Tag auch erfahren. Eine weitere interessante und erprobungswerte Beobachtung war, dass ein Teilnehmer, der erst verspätet zum Kurs stoßen konnte, sich mit geschlossen Augen in die Mitte setzen durfte und alle anderen Teilnehmer nacheinander an ihn herantreten und ihm das, was sie für die wichtigsten Erfahrungen aus dem verpassten Workshop-Abschnitt hielten, ins Ohr flüstern sollten, um ihn in die Gemeinschaft zu integrieren.

Beim Nordamerika-Workshop von Ariel Cohen schloss sich an eine kurze Pause das bekannte Vertrauensspiel der Führung des Blinden an, allerdings mit ganz besonderer Fürsorge: Dem (bzw. der) mit geschlossenen Augen herumgeführten Teilnehmer(in) sollte von seinem sehenden Partner wirklich mit größter Voraussicht jegliches Hindernis kollisionsfrei zu passieren und durch sanfte Führung eine taktile Erfahrung der Umgebung ermöglicht werden. Besonders reizvoll wurde dies, wenn sich mehrere Paare begegneten – manche nutzten die Chance, auch fremde Körper zu erkunden, manche wichen einander peinlichst aus.

Wie in allen körperbetonten Theaterformen war ein nicht geringer Teil der Workshop-Zeit verschiedenen Übungsfolgen zur Muskeldehnung und -entspannung gewidmet. Muskelkater am Folgetag garantiert.

Der Europa-Workshop unter Mikhail Chumachenko baute bei meiner Stippvisite gerade Tableaus (Standbilder) zu ausgewählten Szenen aus Chekhovs Komödie „Der Bär“.

Näher an Stanislavskys Künstler-Theater in Moskau kann man kaum sein. Das Witzige war dabei, zu welchen überraschenden, auch metaphorischen optischen Lösungen die Teilnehmer einander anordneten. Besonders einfallsreich fand ich etwa, hinter den Figuren Smirnovs und der Popova auf Stühlen erhöht – quasi als jeweiliges alter ego – Teilnehmer als gereizten Bären bzw. den Geist der Trauernden aufzubauen.

Der Workshop-Leiter hielt sich mit Feedback zu den Tableaus zurück, wohl wissend, dass sich Fragen dazu im weiteren Verlauf der Bearbeitung von selbst beantworten würden. Lieber gab er den Teilnehmern den Auftrag, ihm nach der Mittagspause in knappen Worten den Inhalt des Stücks zu umreißen, als habe er selbst noch nie etwas über das Stück gehört.

Eine gute Übung, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, aber aus meiner Sicht auch ein Weg, sich im Vergleich mit den Synopsen der Anderen die eigene Akzentsetzung der Story bewusst werden zu lassen.

Vom Afrika-Workshop berichteten Teilnehmer über Wege und Übungen, den Kopf zu leeren und so zugleich zu öffnen für den vorurteilsfreien und partnerschaftlichen Umgang mit Anderen, durch Töne, Nähe und Berührung eine Art Energiefluss untereinander in Gang zu bringen. Einfühlung und Beobachtung wurden trainiert durch das Übernehmen der Pose eines Einzelnen durch alle in der Gruppe, interessante körperlich-narrative Entwicklungen kamen durch assoziative Anbindungen einer eigenen Pose an die des jeweiligen Vorgängers zustande. Und dass man in Form menschlicher „Maschinen“ nicht nur relativ konkrete Themen wie Essen oder Flucht, sondern auch abstrakte Konzepte in der Gruppe körpersprachlich illustrierend darstellen kann, wäre für mich eine spannende Erfahrung gewesen, hätte ich sie nicht leider verpasst.

K. G.

Session

Register for joining
on Zoom

Session

Anmeldung für Austausch
über Zoom Meeting

Diese Website verwendet Essenzielle Cookies. Einige Funktionen können weitere Cookies erfordern, auch von Drittanbietern. Diese Cookies werden erst dann auf Ihrem Endgerät gespeichert, sobald Sie deren Nutzung jeweils vorher ausdrücklich zugestimmt haben. Mehr erfahren Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Anmeldung

HINWEIS! Die Workshops finden parallel statt. Es kann für die Festivaldauer immer nur ein Workshop gewählt werden.
Die Teilnahmegebühr am Workshop beinhaltet ein Festivalticket, dass für den Besuch aller Performances und zur Nutzung des Festival-Caterings, bestehend aus Mittag- und Abendessen, berechtigt.