Ja, verdammt!, möchte man darauf kurz antworten. Denn diese Frage – im Laufe des Eröffnungsstückes „A warm place“ vom „Collectief verloren“ aus Belgien an das Publikum gerichtet – lässt nur diese Antwort zu.
Diese Performance berührt und hält dabei alle eingesetzten Mittel auf gleichsam alle Sinne der Zuschauer gerichtet, um konsequent und ohne Gnade auf diese einzuhämmern.
Die Darbietung, die nicht nur in den ersten Momenten wie ein Industrial-Konzert gewandet ist, wirkt in gleicher Weise physisch auf die Performer und auf die Zuschauer. Die Performer durchleben die Momente der selbstreferenziellen Melancholie bis hin zur abgründigen und unbeherrschbaren Verzweiflung einer Depression physisch. Emotion ist Motion; Ängste sind zitternde Leiber; Zwänge sind getriebene Bewegungen, die die Haut vom Körper streichen. Gepaart mit dem brachialen Sound der „Nine Inch Nails“ bohren sich die inszenierten Bilder dieser Performance 9 inch tief in Kopf und Körper der Zuschauer um hier langsam tickend zu verweilen und ihr Werk zu verrichten …
Die Performer gehorchen dem „Rauschen ihres Blutes, den Stimmen in den Winkeln ihres Schädels“, den Lyrics der „Nine inch Nails“ und den Lyrics des Stückes – geboren aus den Selbsterfahrungen von Roel Faes, dem Kopf dieser Inszenierung. Diese Erfahrungen beherrschen ihre Körper und Bewegungen. Sogleich werden sie von ihren Körpern beherrscht und getrieben. Das Denken, die Erkenntnis, der menschliche Geist – all dies wird berührend und physisch. Verlorenheit beherrscht die Körperlichkeit der Darbietung und bietet uns einen Spiegel eines fremden und eigenen Ichs. Dieser Spiegel oder jene transparente Wand, durch die wir uns zu erkennen glauben, bleibt undurchdringlich. Die Grenzen der Wahrnehmung und Erkenntnis wirken in den bedrückenden Phasen unseres Seins immer stärker verengend bis hin zur Isolation, in der man sich in den Fötus seines Ichs zurückzieht . All dies wird in Bildern durch den Zuschauer assoziiert und durch die Performer transformiert.
Der industrielle Sound und die Stimmungen und Atmosphären der Beleuchtung sind ein zwangsläufiges Setting der Darbietung und steigern so die Wirkung der Performance. Dies ist durchaus manipulativ und ganz im Stile eines musikalisch gelenkten Emotionsaufbaus wie er – natürlich für die anderen Arten der Emotionen – im Kino Hollywoods funktioniert. Doch erfüllen diese Mittel zugleich den gesuchten Zweck, denn auch sie bewirken, dass man berührt ist.
„Es geht mir gut.“ ist einer der letzten Sätze in dieser Performance. Was mir hierzu noch einfällt, ist ein kurzes Zitat: „Es geht mir gut… Mir geht es glänzend, … Ich bin ausgeglichen… Alles was ich erreichen konnte, habe ich erreicht. ich wüßte nichts, was mir fehlt. ich habe es geschafft. Mir geht es gut.“ (Christoph Hein „Der fremde Freund“)
Es war eine mutige Entscheidung, solch ein gewaltiges Werk als Eröffnungsstück des Festivals zu erwählen. Und es war eine sehr gute Entscheidung, denn es sind Themen, wie sie diese Performance aufgreift, die relevantes Amateurtheater und es sind Darstellungsformen wie diese, die zeitgenössisches Amateurtheater auszeichnen. Danke „Collectief verloren“ für diesen bewegenden und künstlerisch heausragenden Auftakt! [mb]